Remigration oder Rückkehr? Als Ruhrpole zurück in die alte Heimat

Die Familien Tomczak, Galewsky, Jankowiak und Kobuczyński vor dem Haus der Familie Tomasz/Galewsky in der Ziegelstraße, Osterfeld 1929
Die Familien Tomczak, Galewsky, Jankowiak und Kobuczyński vor dem Haus der Familie Tomasz/Galewsky in der Ziegelstraße, Osterfeld 1929

Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs bestand noch regelmäßiger Kontakt zu den polnischen Verwandten Tomczak in Posen, Besuche der Familie fanden bis 1943 statt. Aber mit dem Ende des Krieges und der nachfolgend von den Sowjets kontrollierten kommunistischen Regierung in der Volksrepublik Polen, erlosch der persönliche Kontakt der beiden Familien in Polen und Deutschland vorerst.
Und auch die polnische Sprache der in Deutschland lebenden Familie war 1945 verloren gegangen: Seit der dritten Teilung Polens im Jahr 1795 und dem Prozess der „Verpreußung“ und „Germanisierung“ des Landes waren die Ruhrpolen bis ins 20. Jahrhundert dem Germanisierungsdruck auch in ihrer neuen Heimat ausgesetzt. Obwohl die aus den neuen preußischen Ostprovinzen stammenden „preußischen Polen“ im Ruhrgebiet die deutsche bzw. die preußische Staatsbürgerschaft besaßen und gut im Berufsleben integrierten waren, waren sie doch ethnischer und sozialer Diskriminierung ausgesetzt. Um ihre Sprache, Kultur und Lebensgewohnheiten beizubehalten, blieben sie daher meist unter sich, so auch bei der Wahl der Ehepartner. Lange Zeit hielt die polnische Sprache, Kultur und Tradition dem Druck der Germanisierung stand. In der Zeit des Nationalsozialismus sah es jedoch anders aus: „Mit dem Machtantritt Hitlers verschärft sich die Situation der polnischen Minderheit dramatisch. Die Vereine und Organisationen werden „gleichgeschaltet“ und müssen sich gegen Einmischungen zur Wehr setzen. Zunehmende Hetze gegen Polen sowie Misshandlungen und Übergriffe von faschistischen Schlägertrupps zerschlagen die Selbstorganisationen weitgehend. […]. In Oberhausen werden 1939 […] „führende Köpfe“ der polnischen Minderheit verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt“[1] Aus Angst vor Übergriffen wurde der Gebrauch der polnischen Sprache unter den Ruhrpolen weiterstgehend vermieden, die Kriegs- sowie Nachkriegsgeneration lernte die Sprache kaum noch. So auch in der Familie Tomczak/Mlinski.

Meine Mutter Marlies und ihre Schwester Jutta wuchsen in einem Zechenhaus in Oberhausen-Osterfeld auf. Zu siebt in einer kleinen Wohnung: Mit meinem Urgroßvater Józef Tomczak und Urgroßmutter Anna, meinem Großonkel Jan Józef sowie meinen Großeltern Henriette und Heinz Johannes Mlinski. Privatsphäre gab es faktisch nicht. Die Sommermonate verbrachte die Familie gerne in dem zu der Wohnung gehörigen Garten. Dort wurden Hühner gehalten, Gemüse angepflanzt und es gab Apfel- und Pflaumenbäume.

Ende der 1960er Jahre lernte meine Mutter meinen Vater kennen. 1971 folgte die Hochzeit und der Umzug aus der Zechensiedlung. 1972 kam ich als einziges Kind meiner Eltern zur Welt. Mit der Heirat meiner Mutter und meines Vaters, Detlef Barteit, wurde zum ersten Mal in unserer polnischen Familiengeschichte eine „Tradition“ gebrochen. Die Familie Barteit war nicht polnisch, sondern stammte ursprünglich aus Litauen und ist über das ehemalige Ostpreußen 1918 ins Ruhrgebiet eingewandert.

Im Jahre 1953 verstarb meine Urgroßmutter Anna Maria, 1976 verstarb mein Urgroßvater Józef. Ende 1979 zog meine Großmutter Henriette mit ihrem Bruder Jan Józef in eine moderne Stadtwohnung. Die Zeit der Zechensiedlung war vorbei, das Heizen mit Kohle gehörte ab jetzt der Vergangenheit an. Hier gab es eine Gasheizung und ein integriertes Badezimmer mit Dusche und Warmwasserversorgung.

 

[1] Netzwerk Interkulturelles Lernen, Geschichtswerkstatt Oberhausen e.V., „Polen im Pütt“. In: Geschichte(n) von Migration in Oberhausen – Hintergründe, Erinnerungen, Dokumente, Jg. November/2007, S.12.

Mediathek
  • Geburtsurkunde von Józef Tomczak

    Geburtsort war Orkowo
  • Im Haus der Familie Tomczak/Galewsky

    Die Familien Galewsky, Kobuczyński, Jankowiak, Vinc und Tomczak, 1920er Jahre
  • Maria Galewska

    1920er Jahre
  • Stanisław Tomczak

    Bruder von Józef Tomczak
  • Jan Józef Tomczak

    Sohn von Józef Tomczak
  • Vor dem Haus der Familie Tomasz/Galewsky, Osterfeld

    Hochzeit von Helena Galewski: Die Familien Tomczak, Galewsky, Jankowiak und Kobuczyński
  • Hochzeitsgesellschaft im Hof der Familie Tomczak/Galewsky

    Hochzeit von Helena Galewsky: Die Familien Tomczak, Galewsky, Jankowiak und Kobuczyński
  • Familienfoto

    Die Familien Galewsky, Vince, Tomczak, Jankowiak, Kobuczyński und Biały im Haus der Familie Tomczak/Galewsky
  • Henriette Tomczak

    Tochter von Józef Tomczak, 1930er Jahre
  • Henriette Tomczak

    1930er Jahre
  • Henriette Tomczak auf dem Motorrad von Antoni Jankowiak

    Mellinghofer Str., Oberhausen, 1940er Jahre
  • Józef Tomczak in seinem Wohnzimmer

    1940er Jahre
  • Hochzeit von Henriette Tomczak und Heinz Mlinski

    Im Haus der Familie Mlinski in der Kapitän-Lehmann-Str. 13, Bottrop
  • Józef Tomczak mit Urenkel Patrick Barteit

    In seinem Garten in der Osterfelder Str. 147, Osterfeld
  • Hinterhof Siedlung Stemmersberg

    In der Ziegelstraße, Osterfeld
  • Patrick Barteit vor dem Stammhaus Tomczak/Galewsky

    In der Ziegelstr. 63b, Osterfeld
  • Vor dem Stammhaus 2

  • Patrick Barteit vor der ehemaligen Zeche Osterfeld

    Eingangstor
  • Auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Osterfeld

    Werksgebäude und Förderturm
  • Geburtshaus von Józef Tomczak

    Geburtshaus von Józef Tomczak in Orkowo (2019)
  • Geburtshaus/Hof der Ur-Ur-Großmutter von Patrick Barteit Stanisława Tomczak

    Geburtshaus/Hof der Ur-Ur-Großmutter von Patrick Barteit Stanisława Tomczak (z.d. Bratkowska) in Binkowo (Śrem); v.r. Patrick Barteit und sein Cousin Krzysztof Budzyn, 2018
  • Alte Scheune der Familie Tomczak/Pawlisiak in Orkowo, Bj. 1907.

    V.l. Patrick Barteit mit Tochter Lili-Marleen, Onkel Edward Pawlisiak, Cousin Krzysztof Budzyn mit Dominika. 
  • Patrick Barteit am Ortseingang Orkowo

    Patrick Barteit am Ortseingang Orkowo, 2019
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